Der Vermittler, eine Fallanalyse

 

Ein bisschen hat es gedauert bis er mir aufgefallen ist. Es kommen immer viele Kunden in die Fahrradwerkstatt, stehen in der Halle, meist mir im Weg, und begutachten  die Räder. Irgendwann bemerkte ich ihn doch, den schmalen jungen Mann mit den asiatischen Augen. Ich weiss noch, dass ich mich wunderte als er mir erzählte, er kommt aus Afghanistan und mich dabei entlarvt fühlte. Anscheinend existiert das Stereotyp in meinem Kopf in Afghanistan gibt es keine asiatischen Augen. Mir fiel sein gutes Englisch auf und seine Verbindung mit unterschiedlichsten Leuten. So fing ich an ihn, eher nebenbei, zu beobachten.

Schon nach dem zweiten Mal begrüßt er mich, mit gegenseitigem Faustschlag. Ich mag die Geste. Sie zeigt Gleichwertigkeit und Respekt an und ist geschickt gewählt. Offen erzählt er mir, in der Werkstatt zu sein um anderen beim Kauf zu helfen. Es zeigt sich, dass die Verkaufsgespräche durch seine Sprachkenntnisse, aber auch stark durch sein Vermittlungsgeschick vereinfacht und abgekürzt werden. Es wird weniger hart gefeilscht und er bringt mir die Position der Käufer näher, um die Preise für sie etwas zu drücken.  Auf der anderen Seite merkt er, dass ich Informationen suche und erzählt mir, auch ungefragt, von seiner Situation, aber auch von seinen Mitbewohnern im Ankerzentrum und stellt sie mir bewusst vor. So erklärt er einem jungen Mann, der nach einem Rennrad sucht und mir deshalb auffällt, dass ich hier ein Uniprojekt durchführe und überredet ihn, einem Interview zuzustimmen. Innerhalb kürzester Zeit schafft er es mit seinem Verhalten, eine wichtige Position im Verkaufsprozess einzunehmen. Ich ertappe mich dabei ihn mir herzuwünschen wenn er nicht da ist. Einerseits mag ich seinen Schalk. Es ist symphatisch wie er versucht, ein bisschen verschmitzt, einen Preisnachlass herauszuschinden. Immer unterhält er sich mit jemanden, erwischt mich noch kurz in einem freien Moment für eine Zwischenfrage und hat alles im Blick. Vor allem scheint er lebens- und geschäftstüchtig zu sein. Er weiss schnell wen er wie ansprechen muss. Das Helmut ein bisschen unter dem Wort „Chef“ wächst, ich es mag, wenn ich auch in technischen Fragen ernst genommen werde und D. in organisatorischen Belangen sein Ansprechpartner ist. Auch wenn er nur Vermittler zu sein scheint interessiert er sich aktiv für die Fahrräder. Er fragt mich nach Details, welches Rad gut ist und warum oder wie man etwas repariert. Als ich nachfrage warum er das wissen möchte, ob er bereits in seinem Herkunftsland Afghanistan Fahrräder reparierte, verneint er. Er hat Autos repariert. Es interessiert ihn nur. Ich nehme ihm nicht ab, dass er nur wissen will, wie die Fahrradtechnik funktioniert, ohne einen Zweck dahinter zu sehen. Vorstellbar wäre, dass er sich durch kleine Reparaturen etwas verdienen möchte und auch, dass er bereits einen kleinen Obolus erhält, wenn er den Menschen hilft die Werkstatt zu finden und beim Fahrradkauf behilflich ist. Eine, aus meiner Sicht durchaus legitime Vorgehensweise, da auch seine Dienstleistung sehr konkret und sinnvoll ist. Welche Fahrräder sie aussuchen können, dass nur der Verkaufsraum, nicht die Werkstatt betreten werden darf und welchen Bus sie nehmen müssen um uns zu erreichen, sind alles Informationen die er offen weitergibt. Insgesamt scheint er gut organisiert.  So zeigt er mir einen zerknautschten Zettel mit einer Anfahrtsskizze zur Werkstatt die viele Details enthält. Die Weitergabe und Nutzung von Informationen ist für die Menschen der Ankerzentren eine durchaus wichtige Ressource, die er geschickt zu nutzen weiß.

Die Position die er dabei einnimmt hilft allen und seine Arbeit ist überaus sinnvoll. Die Fahrradkäufer haben einen Berater, der die Anfahrt kennt und sich ein wenig bezüglich der Qualität der Fahrräder auskennt. Für uns ist er hilfreich, da auch wir die Übersetzungsleistung schätzen und die Preisverhandlungen nicht so zäh ablaufen. Auch ist er dem Kauf gegenüber emotionsloser als die Käufer selbst und seine Anwesenheit als Mediator entspannte die Situation einige Male sichtlich. Wenn ich seine Position beschreiben soll, sehe ich ihn als den Vermittler. Bewusst positioniere ich ihn gedanklich nicht in der Rolle des Gatekeepers, da er sich an erster Stelle für seine Mitbewohner im Ankerzentrum einsetzt und erst an zweiter Stelle meine Belange wahrnimmt und dies auch eher aus einem diplomatischen Interesse heraus. Ich bin mir sicher, ihm ist bewusst, wie zweckmäßig es ist, sich mit den Mitarbeitern der Werkstatt gut zu stellen und kann mir vorstellen, dass er seine Diplomatie auch im Ankerzentrum zu nutzen weiß. Seine Position ist eng mit seiner Persönlichkeit verknüpft. Durch seine offene Art und die Zugewandtheit die er dem Thema Fahrrad an sich und seinem Gegenüber zukommen lässt, funktioniert er in seiner Rolle. Man kann annehmen, dass ohne diese Eigenschaften auch seine Rolle nicht angenommen werden würde. Dennoch hinterlässt seine Position auch einige Fragen. Etwa ob die Rolle des Vermittlers häufiger besetzt wird und diese sich immer wieder herausarbeiten lässt. Auch wäre es denkbar, diese in ethnologischen Arbeiten bewusst zu besetzen und neben dem Gatekeeper zu etablieren. Der Mehrwert seiner Anwesenheit scheint mir unumstritten und auch in anderen Situationen, wie Ankerzentren und Behörden ist es möglich, einen Blick darauf zu haben ob sich Vermittler definieren lassen und eine Zusammenarbeit machbar ist.  Weiterhin könnte versucht werden neben“ dem Vermittler“ weitere Rollen herauszuarbeiten. Ähnlich wie im Klassenzimmer, bestehen möglicherweise immer gleiche Muster wie „Der Clown“, „der Hilflose“ usw. Sind diese entsprechend definiert, können sie angewandt werden, um grundlegende Strukturen und Vernetzungen zu erkennen. Dabei ist darauf zu achten  nicht schablonenhaft zu verfahren, sondern nur grobe Orientierungen vorzunehmen, um weitere Strukturen durch die Rollenzuschreibung nicht zu überdecken. Denn auch Mehrfachrollen oder nur in der jeweiligen Situation angewandte Rollen sind möglich.