Händewaschen mit den Herrschaften, ein Memo

 

In der Fahrradwerkstatt des Asylhelferkreises in Olching wird das Ende der Werkstattzeit fast immer gleich eingeleitet. Irgendwer bringt das Thema „Händewaschen“ zur Sprache. Meist sind alle noch beschäftigt. Irgendein Rad wird fertig gemacht, es ist noch still und alle an ihren Plätzen. Nicht sofort, aber nach einiger Zeit, vielleicht fünf Minuten oder auch zehn, ist ein Rad fertig, bekommt die interne Nummer eingeschlagen und der Papierkram wird erledigt. Durch den Abschluss der Arbeit ist die nächste Phase des Arbeitsendes eingeleitet.  Werkzeug wird  langsam weggelegt und erste private Gespräche angefangen. Jemand fragt etwa nach fertiggestellten Projekten oder bevorstehenden größeren Arbeiten. Auffällig ist die Ruhe im Raum bevor man zum Feierabend zusammenkommt.  Werkzeuge und Ersatzteile werden geholt, kurze Fragen gestellt, aber kein Gespräch geführt. Jeder arbeitet selbständig vor sich hin. Für mich ist das ungewohnt. Ich bin es gewohnt, egal in welchem Betrieb ich war, mich mit Kollegen, meist recht sinnfrei, durch die Arbeitszeit zu quatschen. Beim letzten Mal jedoch war die Stille deutlich durchbrochen und überhaupt H. politisierte, stark an meiner Schmerzgrenze entlang.

Jeder hat eine Rolle inne, die auch mehr oder weniger seinem Charakter entspricht. Der offizielle Chef ist D.. Er kommt nie in Arbeitskleidung und justiert nur im Kundenkontakt letzte Kleinigkeiten nach oder passt das Rad individuell an den Kunden an. Den Sattel höher stellen, den Seitendynamo mehr Anpressdruck geben, dass sind Dieters arbeiten. Seine Rolle beinhaltet mehr  Koordination und Problembewältigung, als Reparaturen. Er repräsentiert die Werkstatt nach außen, ist mit der Gemeinde vernetzt und achtet explizit auf einen angemessenen Umgang. So ist er derjenige,  der die Wortwahl der Mitarbeiter im Auge hat und lieber „Kunde“ als „Flüchtling“ hört. Entstehen Probleme oder gibt es Gesprächsbedarf ist er der Ansprechpartner, der auch Meetings einberuft und Abläufe optimiert. Er ist nur am Montag vor Ort, wenn für den Publikumsverkehr geöffnet ist. Die Werkstattmitarbeiter bringen ihm zwar Respekt entgegen, Anerkennung für seine Tätigkeit in der Werkstatt erhält jedoch B.. Er ist der inoffizielle Werkstattleiter. Alle wichtigen Arbeiten werden an ihn weitergeleitet und er ist der Spezialist für Improvisationen und Erfahrungswerte. Wie man eine gelängte Kette ohne Kettenlehre erkennt und  innenverlegte Leitungen wieder durch den Rahmen trickst, kann ich von ihm lernen.  Obwohl er weiß, wie die Dinge genau und richtig ausgeführt werden, kann er wunderbar improvisieren und alles was er findet nutzen. So adaptiert er gerne Bauteile die eigentlich nicht dort hingehören wo er sie hinbaut.  Ein alter Schrank seines Sohnes wird von ihm bei der Konstruktion eines speziellen Fahrradanhängers integriert und  gefundene Teile wie Eisenrohre werden bei ihm gedanklich gleich gespeichert um sie im passenden Augenblick an ungewohnter Stelle wieder nutzbar zu machen.

Nur in ganz schwierigen Fällen zieht er W., den Stillen, wissenden im hintersten Eck zu rate und bittet ihn etwa das fummlige Einspeichen von Rädern zu übernehmen. Eine Arbeit die äußerst sorgfältig ausgeführt werden muss und bei dem die einzelnen Schritte recht starr vorgegeben sind, um keine Unwucht im Rad zu erzeugen. Werner ist der Denker, der sich mit innovativen Techniken beschäftigt und tüftelt.  So erzählt er mir von einem Motor der mit Gasaustausch arbeitet, wodurch durch Temperaturunterschiede Kondenswasser in den zwei verbundenen Zylindern entsteht. Dieses könnte zur Bewässerung genutzt werden. Eine Technik die denkbar, aber noch nicht genutzt ist. Er scheint sich lange damit beschäftigt zu haben. Es treibt ihn um, dass weite Landstriche der Welt veröden und der Wasserbedarf für die Landwirtschaft nicht gedeckt werden kann. Werner ist, wie gesagt, der Stille, sein Arbeitsplatz ist der letzte in der Reihe und er nimmt gerne komplexere Aufgaben an. Wenn er zu Arbeitsbeginn kommt, hat er immer seine kleine, selbstgezimmerte Kiste mit Henkel dabei. In der Schule im Werkunterricht mussten wir solche basteln, mit Stichsäge und Feile hantierend und ich nehme mir vor ihn auf die Kiste anzusprechen. Mit ihm unterhalte ich mich wenn es um wichtige Details geht, um bestimmte Materialien oder regelkonforme Durchführungen von Arbeitsschritten. Dennoch sind alle wichtigen Gegenstände, auch die Handwaschseife, um  B.s Arbeitsplatz verteilt und er weiß genau wo welches Ersatzteil zu finden ist. Wichtige Entscheidungen, auch die Entscheidungshoheit über Bier- und Wasserkiste liegen bei ihm. An jedem der drei Arbeitsplätze sind ständig benötigte Werkzeuge wie Gabelschlüssel und Sechskant zu finden. Dinge wie Lötkolben, die nicht durchgängig genutzt werden, teilen sich die Mitarbeiter, sind jedoch wie selbstverständlich an Bernds Platz zu finden. Alle Fragen werden an B. gerichtet. Und dann ist da noch H.. H.s brauner Overall spannt am Bauch und die Knöpfe strengen sich an, dem Druck standzuhalten. Seine Brille beschlägt immer und er schnauft ein bisschen schneller wenn er angestrengt ist. Wir teilen uns einen Arbeitsplatz und seine anfängliche Skepsis mir gegenüber scheint verflogen. Nur meine kurzen Haare sind immer wieder Thema und ihm anscheinend suspekt. Fast alles habe ich von ihm gelernt. Wie die Situation mit mir anfangs für ihn war, kann ich nur vermuten und ich nehme an, er war nicht wirklich begeistert jetzt eine unpraktische Studentin beaufsichtigen zu müssen. Zu Beginn war er nervös und sehr streng, mittlerweile ist er jedoch derjenige der mir auch privat ab und zu eine Nachricht zukommen lässt und mich stark miteinbezieht. Er freut sich, wenn ich mir die Zeit nehme das Chaos auf dem Arbeitstisch zu ordnen und er erzählt mir oft von seiner Lehrzeit bei Siemens als Werkzeugmacher.  Als der Konservativste von allen dreien, mit nicht immer ganz einfachen Ansichten und einer nicht immer differenzierten Ausdrucksweise ist der Umgang mit ihm für mich nicht immer leicht. Meist belächeln ihn die anderen beiden, wenn er wieder schwer an einer politischen Schieflage schrammt und nur B., wenn er zu arg in Richtung Beleidigungen tendiert, weist ihn wieder in tragbare Schranken. Manchmal finden sich bei ihm jedoch in dem polemisierenden Hintergrundgeräusch auch sprachliche Perlen, die ich mir dann aufschreibe um sie nicht zu vergessen. So stellt er etwa die unbefleckte Empfängnis Marias mit „ Jesus ist doch kein UFO“ in Frage und ich muss laut Lachen.  Mein bisheriger Lieblingssatz von ihm.  Alle drei arbeiten ausserordentlich sorgfältig, immer noch wie sie es in ihrer Lehrzeit beim wochenlangen schleifen an Eisenwürfeln gelernt haben und es ist spannend mir die alten Geschichten erzählen zu lassen.  

All diese Rollen spiegeln sich im Abschluss wieder, dem Hände waschen. Einer greift das Thema Händewaschen auf, meist B. oder H.. Mal ist die Seife bald aus und über das Thema Seife kommt man auch schnell zum Hände waschen und zum Feierabend oder man schleicht sich zur Tube und murmelt für alle hörbar:“ sooo…ein bisschen Seife..“ um anzuzeigen dass jetzt Schluss ist. B. scheucht dann seine Mannschaft vor sich her, die quatschend, an der Seife vorbei, jeder einen Klecks von dem sandigen Zeug in die Hände drückend, Richtung Ausgang latschen. Die Treppe hoch links ist der Wasserhahn. Im Beet der Wohnanlage mit runter geschnittenen Gehölzen. Einer stolpert immer über die Wurzelstöcke. Meist H., der mit seinen beschlagenen Brillengläsern nicht richtig sieht und auch immer fein schimpft. H. schimpft eh gerne. Es scheint, dass nur das worüber er schimpft, seine Aufmerksamkeit verdient. Ich hoffe also, er schimpft auch ein bisschen über mich. B. reicht jedem das Handtuch und ich habe meine Hände schon wieder längst an der Hose abgewischt. Die Ungeduld. B. scheucht uns wieder die Treppe runter. Sachen zusammenpacken und wieder raus. An der Tür ist die Hierarchie noch nicht ganz ausgefeilt. H. und ich passen mit unseren Rädern nicht palavernd gleichzeitig durch die Tür, ich muss meistens noch irgendwas fest machen und halte alle auf, W. wartet milde lächelnd oben, während B., wer auch sonst, Lichter ausmacht und abschliesst. Man winkt sich zu und weg sind alle.