Dinge als Herausforderung

 

 

In den insgesamt 20 Essays in dem Buch „Dinge als Herausforderung“ wird von ebenso vielen Autoren Materialität in den unterschiedlichsten Facetten beschrieben.  Neumann und Hahn haben als Herausgeber  diese Formenvielfalt bereits  im Vorwort in Theorie und Praxis beschrieben. Sie zeigen unter anderem auf, dass sich nicht nur die rein materielle Gestalt der Dinge wandeln kann, sondern auch die Verortung, das heisst der tatsächliche Ort an dem Gegenstände genutzt werden. Die meisten kennen etwa die Poolnudel als eine Schwimmhilfe für Kinder. Fahrradfahrer nutzen diese, man kann sagen fast politisch. Sie klemmen sie quer in ihren Gepäckträger um vorbeifahrende Autofahrer auf Abstand zu halten, der ansonsten fast durchgehend unterschritten wird. Die Poolnudel ist somit zu einem Symbol für fehlgeleitete Verkehrspolitik geworden. Dinge haben also ihren vorhergesehenen Platz, wie die Poolnudel im Wasser, können diesen jedoch auch verlassen. Viele Gegenstände sind jedoch fest verbunden mit ihrer Umgebung und dürfen aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht an jeden anderen Ort verbracht werden. Vor einiger Zeit schrieb ich meinem Neffen eine surreal erscheinende whatsapp mit dem Wortlaut. “Keine (Fahrrad)Reparaturen in meinem Bett!“. Bei einer Reparatur in meinem Zimmer  hatte er ölverschmiertes Werkzeug auf mein Bett gelegt. Die beiden Dinge Bett und Werkzeug sollten sich aufgrund ihrer Oberflächen sauber und dreckig jedoch nicht treffen.  Dinge können also auch fehl am Platz sein und fallen dadurch weitaus mehr in ihrer Präsenz auf, als an ihren vorhergesehen Orten. Mir wurde das Werkzeug auf den Laken weitaus bewusster, als auf der Werkbank.

Dinge können jedoch im Gegenteil dazu, in ihrer Verortung als auch Handhabung vollkommen Uneindeutig sein. Hahn sieht in der Umdeutung der Gegenständlichkeit eine Uneindeutigkeit. So werden Gegenstände mit sich teilweise widersprechenden Attributen besetzt. Er nutzt das Beispiel des Handys. Einerseits ist das Handy ein sinnvolles und viel genutztes Kommunikationsmittel, auf der anderen Seite wird das Handy als Mittel zur Überwachung genutzt. Eltern spionieren damit ihren Kindern und große Firmen ihren Kunden hinterher. Das Handy ist also weder klar positiv noch durchwegs negativ, sondern vollkommen ambivalent, je nach Nutzung. Dies ist ein grundsätzliches Phänomen von jeglichem Werkzeug. Das Ding an sich ist neutral, erst die Art der Nutzung bringt Nutzen oder Schaden mit sich. Dies ist kein neu entdecktes Phänomen. Jeder kennt das Beispiel der  Entdeckung der Kernspaltung. Die ursprüngliche Idee für die Nutzung war keineswegs negativ, erst der Bau der Atombombe negativierte ein ursprünglich neutrales Verfahren. Weiterhin kann sich die Sichtweise auf Materielles auch je nach Rezipient ändern.  Ein Fahrrad ist für den einen ein hervorragendes Fortbewegungsmittel, für den Autofahrer jedoch möglicherweise nur eine Störung im Verkehrsfluss. Diese unklare Verortung nennt Hahn „offene“ Objekte und wird an mehreren Beispielen im Buch deutlich.

Letztendlich kann jeder Gegenstand ethnologisch beschrieben werden und die Bandbreite von Dinglichkeiten und ihrer Bedeutung wird von den Autoren entsprechend angerissen. Für die Arbeit mit der Fahrradwerkstatt hat sich vor allem der Essay von Valerie Hänisch als passend erwiesen, indem sie die Materialität und Umnutzung von Werkzeug beschreibt.  Der Wandel von Gegenständen, nicht nur in seiner Form, sondern auch in seiner Nutzung, wird von ihr untersucht. Eine Feile kann in der Esse erhitzt und zu einem Schabmesser umgearbeitet werden. Ähnlich wie auch eine Metallplatte von Bernd umgearbeitet wurde, um das Gewinde eines Tretlagers zu lösen. Hahn nennt das Gestaltwandler.  So werden, wie bereits ausgeführt, Arbeitshosen zu Lumpen und aus einem alten Regal ein Teil eines Fahrradanhägers. Dinge können also  herab- als auch heraufgestuft werden.  

Ein weiterer Punkt durch den sich Gegenstände wandeln können, ist ganz simpel die Zeit, die sich in Dinge einbrennt und sowohl ihren Nutzen als auch die Form und die passende Örtlichkeit für Gegenstände verändern kann. Man denke nur an Museen, die Dinge aufbewahren, die früher an vollkommen anderen Orten und zu einem anderen Zweck vorhanden waren. Auch dies wird in „Dinge als Herausforderung“ dargestellt.  Valerie Hänisch arbeitet noch den Entstehungspunkt von Gegenständen heraus und sieht in der handwerklichen Herstellung von Waren exemplarisch die Entstehung von Dingen. Spannend dabei ist, dass Hänisch gedanklich die Hand mit dem Mund verbindet, also die Ausführung und Herstellung mit der Sprache, ist doch die Hand-Augen-Koordination ein weitaus verbreiteter und bereits neurologisch untersuchter Aspekt. Die biologische Untermauerung der Verbindung Hand Auge ethnologisch weiterzuarbeiten scheint mir naheliegender als eine nur theoretisch vorhandene Verbindung Hand-Mund neu aufzumachen.

Hahn selbst beschreibt das Buch „Herausforderung der Dinge“ als offen. Die Inhalte des Buchs sind überaus unterschiedlich und berühren sich nur über die Thematik der Materalität. Teilweise erscheint mir die Zusammensetzung der einzelnen Essays daher beliebig. Eine eingegrenztere Thematik hätte das Buch im Ganzen, anstatt nur einzelne Essays, besser nutzbar gemacht. So scheint dies nur eine lose Sammlung, deren Einzelteile jeweils überaus interessant sind, die jedoch den Eindruck vermitteln, im nachhinein ein Oberthema übergestülpt bekommen zu haben. Denn wie Hänisch sagt, wird unsere dingliche Welt aus den Händen der Handwerker gemacht und unsere Welt besteht größtenteils aus Gegenständen. Das Thema ist also unfassbar weitläufig und aus meiner Sicht zu groß für ein einziges Buch, obwohl die einzelnen Einblicke in das Thema als durchaus beispielhaft betrachtet werden können.

Das Buch  „Dinge als Herausforderung“ erschien im Transcript Verlag in der Edition Kulturwissenschaft mit der Bandnummer 182.