Strassenkampf

 

 

Im Februar 2020 erschien „Strassenkampf“ von Kerstin Finkelstein, mit dem sie eine perfekte Punktlandung absolvierte. Ein paar Monate nach dem Erscheinen war die Pandemie in vollem Gange und in weiten Teilen der Welt erfuhr das Fahrrad einen ungeahnten Boom. Die Zuwachsraten der Fahrradindustrie liegen im Jahr 2020 in Deutschland bei 16,4%, für e-bikes sogar bei 60,9% . Ungeahnte Menschenmassen stiegen auf das Zweirad, um der Enge des öffentlichen Nahverkehrs zu entfliehen oder um sich ein wenig Bewegung zu verschaffen. Entsprechend musste auch die Verkehrspolitik schnell und effektiv angepasst werden. In ganz Deutschland wurden einzelne Spuren mehrspuriger Strassen für Fahrräder freigegeben und unter Pop-up-bike-lanes bekannt. Das Buch „Strassenkampf“, obwohl es bereits hochaktuelle Themen behandelt, erfuhr durch die aktuelle Situation nochmals mehr Aufmerksamkeit. Gut recherchiert und unterhaltsam beschreibt es Diskrepanzen unserer momentanen Verkehrspolitik und wie das Auto Privilegien erhält, von denen jeder Fahrradfahrer nur träumen kann. Es zeigt aber auch positive Gegenbeispiele auf und Entwicklungen die leise Hoffnung auf sicherere Wege für Fahrradfahrer aufkommen lässt.

Im ersten Teil des Buches arbeitet Finkelstein die momentan bestehende Situation auf. Sie verdeutlicht  anhand von fassbaren Beispielen den erhöhten Flächenverbrauch und die langen Standzeiten des Autos, die unsere Städte verstopfen. Früher noch Normalität, fahren mittlerweile  immer weniger SchülerInnen mit dem Fahrrad zur Schule, häufig da sich die Eltern Sorgen wegen des hohen Verkehrsaufkommens machen, die dann selbst im Stau vor der Schule stehen um ihre Sprösslinge sicher abzuliefern und zu holen. Und obwohl diese Eltern natürlich selbst zu dem Problem beitragen, ist die Sorge um ihre Kinder keineswegs unberechtigt. Viele Menschen, so Finkelstein, würden gerne das Rad nutzen, haben aber schlicht Angst und dass keineswegs grundlos. Die weissen Fahrräder an Strassenecken, die anzeigen, dass hier eine RadlerIn starb sind viel zu häufig im Stadtbild anzutreffen. Häufig stehen diese an Kreuzungen, an denen von Rechtsabbiegern ein Fahrradweg gekreuzt wird. Beim Abbiegen verschwinden die Fahrradnutzer im toten Winkel und werden übersehen. Der tote Winkel, der Alptraum eines jeden Radlers, könnte jedoch durch angepasste Fahrweise und entsprechende Technik entschärft werden. Dabei stände die Politik im Zugzwang, schaute aber bisher geflissentlich weg. Nachdem man „Strassenkampf“ gelesen hat, bemerkt man auch im eigenen Umfeld einiges, was, abgesehen von Extremsituationen, die erschreckend häufig vorkommen, schief läuft. In nur einem Monat fuhr ich zweimal freiwillig aufs Bankett um nicht von vorbeifahrenden Fahrzeugen gestreift zu werden und wurde beschimpft und ausgebremst. Zum täglichen Nahkampf gehören Fahrzeuge auf Radwegen, zu knappes Überholen und das berüchtigte „Dooring“ bei dem Autofahrer, ohne sich umgesehen zu haben, die Autotür aufreissen und der Radler  häufig keine Chance mehr hat auszuweichen. Finkelstein verdeutlicht, wie wenig Rechte die Radler auch in diesen Situationen haben oder wie  missverständlich die Regelungen sind. Befindet sich ein sogenannter Schutzstreifen auf der Fahrbahn, ist der Fahrradfahrer verpflichtet diesen zu nutzen, stehen am Seitenstreifen neben diesem Schutzstreifen Autos muss der Radler mindestens 1m Abstand zu den Fahrzeugen halten, wodurch er den Schutzstreifen verlassen muss. Er kann sich also aussuchen welche Regel er bricht um im Falle eines Unfalls  entsprechend die Schuld zugesprochen zu bekommen. Fast resigniert nimmt man als Radler wahr wie seine eigentlich schöne Ausfahrt durch den buchstäblichen Strassenkampf beeinträchtigt wird. Spannend ist  dabei auch der ständige Seitenwechsel den man bei der Nutzung von Fahrradwegen häufig vollziehen muss, und dies nicht selten über stark befahrene Strassen und ohne Ampel. Vor kurzem nutzte ich aus diesem Grund etwa 200m Radweg nicht mehr, da ich so die Ampel überqueren konnte und mich nicht in den stark fliessenden Verkehr einfädeln musste. Der Autofahrer hinter mir überholte mich knapp und bremste mich, und damit auch die ganze nachfolgende Autoschlange aus. Nur durch ein gewagtes Ausweichmanöver kam es nicht zum Unfall. Finkelstein beschreibt und analysiert solche durchaus regelmäßig vorkommenden Situationen, zeigt jedoch auch mögliche Wege aus der Misere. In den Niederlanden werden Ampeln für Radfahrer teilweise automatisch grün sobald das Wetter schlecht ist und die im warmen sitzenden Autofahrer müssen warten. Münchner Radlern die sich in Massen über viel zu enge Radwege schieben, könnten dabei theatralisch aufschluchzen, quälen sie sich doch von Ampel zu Ampel immer in hab Acht Stellung um nicht an Einfahrten und Einmündungen über den Haufen gefahren zu werden. Hierzulande ist die Stadt stolz nach 5 jähriger Bauplanung und 3 monatiger Ausführungszeit in Oberhaching 2,5 km Radweg gebaut zu haben. Die Fahrradschnellstrasse von Fürstenfeldbruck nach München liegt seit Jahren in der Schublade. Und das, obwohl durch  den Münchner Radentscheid weitreichende Massnahmen angeordnet wurden.

Nach Befragungen möchte jedoch kaum jemand den Autoverkehr in seiner eigenen Umgebung haben. Werden Anwohner um ihre Meinung gebeten, so Finkelstein, sprechen sich kaum Menschen für den Autoverkehr aus. In seiner nächsten Umgebung möchte niemand die Blechlawinen und empfindet es als angenehm die Kinder auf die Strasse lassen zu können. Wird jedoch für mehr Fahrradstrecken, Förderungen und Abstellmöglichkeiten plädiert, besteht häufig das Missverständnis, dass das Auto an sich verdammt wird. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr dringt Finkelstein darauf Alternativen zu nutzen, wie etwa Lastenräder um Kleinsttransporte die sich meist in engen Radien bewegen, abzuwickeln. Menschen die auf die Mobilität mit einem motorisierten Fahrzeug angewiesen sind, ob beruflich oder körperlich, sollen keineswegs davon abgehalten werden. Im Gegenteil, könnten ebenso Handwerker, die viel transportieren müssen, wie Menschen mit körperlichen Einschränkungen von einem verminderten Autoverkehr profitieren, sind doch die Parkplätze und Strassen weniger verstopft und besser zu nutzen. Finkelstein bringt noch eine ganze Reihe  weiterer Details und Lösungsansätze vor und  das Buch ist für jeden Verkehrsteilnehmer, ob Fußgänger, oder Rad-und Autofahrer zu empfehlen. "Strassenkampf" ist hochinformativ und überaus lesenswert. Es erschien im CH.Links Verlag unter der ISBN Nummer 978-3-96289-081-0.