Fachsprache

 

Jedes Gewerk und wahrscheinlich jeder zwischenmenschliche und mehr oder minder abgegrenzte Bereich verfügt über eine eigene Sprache. Unterhalten sich beispielsweise Chemiker untereinander, ist dies für aussenstehende nicht unbedingt nachvollziehbar. Fachsprachen an sich wurden teilweise bereits genau untersucht. Bekannt ist etwa die Sprache der Kumpel im Tagebau. Die Fachsprachenforschung ist tatsächlich ein eigener Forschungszweig, was bewusst macht, wie wichtig fachgerechte Sprache ist. Fachfremde oder Neulinge fallen also nicht nur durch ihre noch mangelhaften Kenntnisse auf, sondern ebenso wie sie sich ausdrücken. Auch in ethnologischen Forschungen wird das Thema immer wieder behandelt und darauf hingewiesen, dass einer der Zugänge zu den Menschen über ihr Vokabular ist. Damit ist zwar in erster Linie die Alltagssprache gemeint, in speziellen Arbeitsbereichen geht es jedoch durchaus um die Fachsprache. Vielfach wird von EthnologInnen dargelegt, dass es zumindest erleichternd ist sprachlich in der Materie zu sein, wird in Betrieben oder über Gewerke geforscht. Persönlich sehe ich in dem Vorgang des Lernens an sich eine Schwierigkeit. Es existieren weder Wörterbücher, noch kann man Kurse in „Metallbausprache“ belegen oder Lehrbücher „Tischlersprache lernen in 30 Tagen“ kaufen.

Ein weiterer Haken kann sich darin zeigen, dass in Fachsprachen keine reine Übersetzungsleistung möglich ist, wie dies für das Erlernen einer Zweitsprache nutzbar ist. Nur für sehr wenige Ausdrücke gibt es ein nicht-fachliches Äquivalent. Ein Schaltkäfig ist ein Schaltkäfig. Entweder kennt man den Begriff und weiss ihn zu nutzen, oder man muss ihn neu erlernen. Es kann also gar kein Wörterbuch existieren, sondern die Begriffe müssen wie bei einem Kind, welches sprechen lernt, neu mit der Bedeutung, also der Semantik verknüpft werden. Dieses, wie jedes Lernen ist mit Fehlern verbunden. Diese Fehler können in der Forschung zu einer gewissen Abgrenzung zu seiner Gastgesellschaft führen. Schaut man den Forschungspartner mit großen Augen an, wird man um ein Teil geschickt, oder fällt auf gängige Lehrlingsveralberungen herein, zeigt sich auch hier, dass man nur bedingt Teil seiner Umgebung geworden ist, ohne dies mit „going native“ gleichsetzen zu wollen.

Bei Auszubildenden kann die Angleichung der Sprache an die berufliche Umgebung Teil einer Initiation sein. Der Lehrling, in der Liminalität begriffen, wird um „Getriebesand“ oder einen Eimer „Pressluft“ geschickt und tapert brav los, die feixende Mannschaft im Rücken. Irgendwann lernt auch er, und mit etwas Glück auch der Ethnologe, den passenden Wortschatz. Ohne Fachwörter müssten Begriffe umständlich erklärt werden. Erst durch die entsprechenden Lexeme ist es Anwendern möglich sich entsprechend präzise auszudrücken. Mit dem Begriff zusammen wird auch  die passende Anwendung und das entsprechende physische Artefakt, also  das Werkzeug, Bauteil usw. mitgelernt. Begriffe wie „Muffe“ und „Flansch“ hören sich nicht mehr nach niedlichen Tierchen oder Kinder die in Pfützen springen an, sondern fangen an beim Lerner entsprechende Bilder zu generieren. Manche Begriffe haben auch eine innewohnende Schönheit oder hören sich einfach nur lustig an. Die sexuelle Assoziation bei dem Wort „Nippelspanner“ verliert sich bei den meisten Sprechern wahrscheinlich erst, wenn das Lexem tatsächlich fest mit dem Bild des Speichennippels verbunden wurde. Und manche Wörter behalten ihre Sperrigkeit. So lese ich in einem Fachbuch den Begriff „Stützbreite einer Kassettennabe für gesteckte Freilaufkupplungen“ und auch wenn die dahinter verborgene Semantik durchschimmert, bleibt der Begriff ein Fachungetüm. Mentale Abbildungen des Bauteils werden erst nach einigen Wiederholungen im Gehirn verankert und können  aufgerufen werden. Der Lehrling, der dem Ethnologen in seiner Rolle nicht unbedingt unähnlich ist, lernt diese teilweise in der Praxis. Im Gegensatz zum Ethnologen, hat der Lehrling jedoch in den Berufsschulen eine weitere Möglichkeit die entsprechende Sprache zu lernen. Beide können darüber hinaus Fachbücher nutzen um an ihrem Wortschatz zu feilen.

Ganz am Anfang in der Fahrradwerkstatt in P. hatte ich immer wieder das Gefühl auch sprachlich „abgefragt“ zu werden. Dies geschah fast unbemerkt nebenbei. Ein Teil wurde verlangt, oder ich wurde nach einem bestimmten Werkzeug gefragt. Da ich mich mit dem Thema Fahrrad bereits vorab beschäftigt hatte, waren mir einige Begriffe bereits geläufig. Ohne es fassbar machen zu können, blieb bei mir das Gefühl, auch durch die fachlich korrekt genutzten Wörter einen leichteren Zugang erhalten zu können. Dem steht entgegen, dass in den folgenden Monaten immer wieder Verwandte und Bekannte der Männer ihre kaputten Fahrräder in die Werkstatt schoben, und trotz fehlender Fachkenntnisse ebenbürtig behandelt wurden. Dennoch sollte Ebenbürtigkeit nicht mit Zugehörigkeit verwechselt werden. Fachsprache kann durchaus die Funktion der Zugehörigkeit und dadurch eine Sichtbarmachung der vorangegangenen Liminalität in sich bergen. Diese zu erlernen ist Teil des Zugangs und grenzt einen inneren Kreis von Fachfremden ab.