Aufnahme in die Gastgesellschaft

 

Bei den Worten „Aufnahme in die Gastgesellschaft“ sehe ich B. den Kopf schütteln und höre Helmuts Stimme „Schmarrn“ sagen und muß selber ein bißchen grinsen.  Das Team dass mich bei meiner Forschung unterstützt und nebenbei  nicht nur Stück für Stück alle Räder in dem Kellerraum, sondern auch meins wieder flott macht, exotisierend als Gastgesellschaft zu bezeichnen ist ein wenig absurd.  Sehe ich sie zusammen in der Werkstatt, die vier Mitarbeiter, denke ich automatisch an den alten Bud Spencer Film „Vier Fäuste für ein Hallelujah“,  auch wenn die Zahl der zusammengezählten Mitarbeiterfäuste weitaus mehr ist. Immerhin sind es vier rechte Fäuste, dann stimmt es wieder.

Ich bin also ganz gut in meiner sogenannten Gastgesellschaft angekommen. So angenehm und unkompliziert sich alles entwickelt hat, mussten dennoch erste Schritte aufeinander zu gemacht werden. Der erste Kontakt über email verlief unkompliziert. Kurz darauf stand ich bereits in frisch gewaschenen Arbeitshosen, ein bisschen nervös, auf dem Estrich der Werkstatt. Der erste Eindruck des Lagers ist beeindruckend, ist es doch weitaus größer als ich dachte und überall sind Vorräte an Ersatzteilen die auf Häufen oder ordentlich in Kisten und Regalen Gänge bilden. Alle waren anwesend, D., der mir das Konzept und die Geschichte des Asylhelferkreises der bereits seit einigen Jahren besteht, auseinandersetzte, H. der von Anfang an auch immer interessiert war an meiner persönlichen Situation und  wie sich das Universitätsleben mit den entsprechend anfallenden Arbeiten gestaltet.  Auch Werner war da, hielt sich wie immer zurück und beobachtete die Situation, während er weiter schraubte.  Und natürlich B., der mir gleich auf den Zahn fühlte was ich so an Fachwissen mitbringe. In meinen Tagebuchaufzeichnungen  des ersten Kennenlernens lese ich das Wort „Skepsis“. Meine Erinnerung führt mich aufs Glatteis, denn ich erinnere mich an Wissenstests in Bezug auf die Fahrradtechnik, aber an offene Gespräche.

Die Werkstatt ist unterteilt in einen Verkaufs- und einen Arbeitsbereich, in dem jeder seinen eigenen Arbeitsplatz, inklusive Montierständer zur Verfügung hat. Bei den ersten Besuchen verbrachte ich viel Zeit neben B., an seinem Arbeitsplatz, auf dem sich die Besonderheiten, ob Werkzeuge oder Reparaturaufträge tummeln. Bevor ich  Berührungspunkte zu den komplexeren Aufträgen erhielt, wurden mir kleinere Aufgaben zugeteilt, wie ein Reifenwechsel und auch diese Handgriffe genau beobachtet. Obwohl ich auf Ausfahrten regelmäßig meine Reifen flicken muss, wurden meine Hände unter den Augen der Männer ungeschickt und je länger sie mir zusahen, desto weiter wanderten meine Daumen nach außen, bis ich mit zwei linken Händen vor der Werkbank stand. Entsprechend  hantierte ich an dem Reifen und fragte mich schon, und immer wieder, wo die Herren soviel Geduld hernehmen und mich nicht Kopf schüttelnd nach Hause schicken. Erst letzte Woche lötete ich eine unmöglich lange Stunde an einem Rücklicht herum, welches dann von B. vor mir gerettet wurde, um nach fünf Minuten lustig aufzuleuchten, während ich mit hängenden Armen danebenstand. 

In den ersten Wochen verlagerte sich mein Arbeitsplatz immer weiter auf die andere Seite  des Lagers Richtung H., bis zu dem Punkt, dass sein seit Jahren angestammter Platz wie selbstverständlich auch von mir genutzt wird. Ich rechne es ihm hoch an, nicht ein einziges Mal sein Hoheitsgebiet gegen mein Eindringen verteidigt zu haben. Bereitwillig rutschte er ein Stück und  nahm mich unter seine Fittiche und so grantig schimpfend er auf den ersten Blick erscheint, hat er sich als derjenige herausgestellt, dem ich am meisten im Weg herumstehe um auf alles einen Blick zu haben. Und dass auch noch klaglos und obwohl die Anfänge holprig und keineswegs glatt geteert verliefen. Die Endkontrolle vor der Verkaufszulassung war eine der ersten Arbeiten die wir gemeinsam durchführten. Dabei sollte ich mit einem Schlageisen eine vorgegebene Nummer in die Rahmenunterseite schlagen. Sein Blick fest auf meine Hände gerichtet, rechts der Hammer, links das Eisen, klopfte ich zaghaft vor mich hin. Mittlerweile hört man auch bei mir den satten Klang des Hammers auf dem Eisen, immer zweimal hintereinander und die Geschichte passt. Da aber, mit H.s skeptischen Blick unter der angelaufenen Brille und der vorbildlich genutzten Gesichtsmaske, verrutschte das Eisen auf dem Rahmen, der Hammer auf dem Eisen und mein handwerkliches Selbstbewusstsein Richtung Knie. Lesen konnte man die eingeschlagene Nummer nicht. Helmut schimpfte ein bisschen und gab, ganz in meinem Sinn, dem Rahmen die Schuld. Jedes Mal wenn ich etwas anfing, fragte oder entschied, wurde mir ein bisschen mehr zugetraut. Stückchenweise näherten wir uns aneinander an, und manchmal frage ich mich bereits wo dieses berüchtigte „going native“ anfängt, wenn meine Solidarität wieder näher am Werkstattgeschehen liegt als an meiner Alma mater. Richtig bewusst wurde mir meine veränderte Position, als ich in einer Arbeitspause, ich glaube mich zu erinnern, dass sich eine rege Unterhaltung entsponnen hatte, begann, unseren Arbeitstisch aufzuräumen. Helmuts Arbeitstisch wurde ganz klammheimlich zu unserem Arbeitstisch und wenn er das liest, weiss ich nicht, ob ich ihm schnell versichern muss, dass es natürlich seiner ist. Da ich ein fauler Mensch bin, suche ich nicht gerne. Ich fing also an die Gabel- und Maulschlüssel nach Grösse zu sortieren. Kein 9er war da , dafür sicher fünf zehner, was stark darauf hinweist, dass man die 9er ständig braucht, den 10er jedoch weitaus seltener. Und den wichtigeren natürlich nie findet. Ich besorgte mir von Bernd einen Mülleimer, die ganzen Schächtelchen mit Schrauben, stellte ich an eine Seite. Die Kiste mit den Zangen muss jedoch weiter im Chaos versinken, finde ich einfach kein System diese in eine sinnvolle Reihenfolge zu überführen. H.s ureigener Bereich wurde von mir sortiert, unter Lappen verschwundene Sechskant in Reihe gelegt und Arbeitsfläche freigeschaufelt. Unsicher ob ich nicht zu weit gegangen bin, warte ich immer noch auf den tadelnden Blick, wenn wieder was „noch pfenninggutes“ im Mülleimer gelandet ist. Aber nichts, sogar gelobt hat er und der aufgeräumte Arbeitstisch bleibt zwar keineswegs  statisch in seiner Zusammensetzung, aber der Zustand der Ordnung darf  immer wieder aufs  Neue entstehen und verblühen. Er ist, wie meine Anwesenheit, zur Routine geworden und letztens habe ich H. dabei erwischt wie die Gabelschlüssel von ihm wieder in  Reih und Glied drapiert wurden.