Lernen und Lehren

 

 

Es gibt Menschen die über ein Thema alles zu wissen scheinen. Egal was sie zu ihrem Fachbereich gefragt werden, kommt die Antwort präzise, schnell, und verzögerungsfrei. Und es gibt Menschen denen man vollkommen unterschiedliche Teile zum Reparieren hinlegt, in den verschiedensten Phasen ihres Maschinendaseins, zwischen fabrikneu und Schrott changierend. Unter deren Händen  wird daraus ein funktionstüchtiger Gegenstand. Beide Menschen haben dieses Wissen und diese Fertigkeiten erlernt. Schon durch die Nutzung der unterschiedlichen Begriffe, Wissen und Fertigkeiten, zeigt sich eine Dichotomie. Wissen wird als die Verarbeitung und Speicherung von Daten im menschlichen Hirn bezeichnet. Im Gegensatz dazu sind Fertigkeiten Abläufe die taktil und verbal erlernt werden, daraufhin gespeichert und verarbeitet, um im Folgenden wiederum taktil und im besten Falle auch verbal reproduziert zu werden. In der heutigen Gesellschaft sind handwerkliche Fähigkeiten jedoch weitaus geringer geschätzt als theoretisches Wissen. Die deutsche Handwerkskammer schaltete 2010 einen sehr eingängigen Werbespot bei dem versucht wurde, die Relevanz des Handwerks für unsere Gesellschaft sichtbar zu machen und allein die Ausstrahlung einer solchen Werbung zeigt die prekäre Situation des Handwerks (https://www.youtube.com/watch?v=1TwIUgd7eb0).  

Akademische Grade stehen im Ansehen weit höher als handwerkliche Ausbildungen. Die Komplexität des benötigten und reproduzierbaren Wissens von handwerkliche Fähigkeiten wird im Vergleich zu theoretischem Wissen geringgeschätzt und wenig wahrgenommen, was bereits mit der Sicht auf die  entsprechende Vorbildung beginnt. Eine Ausbildung dauert genauso lange wie viele Studiengänge zum Bachelor. Eine gleichwertige gesellschaftliche Stellung der Ausbildungen ist jedoch keineswegs gegeben. Betrachtet man konkret die Art und Weise der benötigten Wissensaneignung, ist die Geringschätzung des praktischen Lernens jedoch keineswegs verständlich. Schon der Weg des impliziten Könnens des Lehrenden bis zur Reproduzierbarkeit des Wissens von Lernenden ist außerordentlich schwer zu beschreiben und kann in eine Vielzahl von Schritten untergliedert werden. Dabei ist es bereits schwierig den ersten Schritt herauszuarbeiten, da einzelne Arbeitsschritte Teil eines komplexeren Ganzen sind.

Es ist nicht klar, ob das Lernen erst anfängt, wenn der Lernende dem Arbeitsgegenstand gegenübertritt oder bereits im Vorfeld, indem ein Basiswissen generiert werden muss. So ist beispielsweise ein Reifenwechsel nicht möglich, solange kein Wissen über die Radaufhängung vorhanden ist. Weitergehend ist es im Ablauf und Verständnis durchaus nicht vergleichbar ob ein Traktorreifen oder ein Fahrradreifen gewechselt wird. Dennoch ist das Prozedere soweit strukturähnlich, dass gute Handwerker entsprechende Transferleistungen erbringen können. So kann ein begabter Elektriker durchaus die Mechanik eines Fahrrads verstehen und dieses Instand setzen. Der Lerner muss also bereits vor Arbeitsbeginn über einen gewissen Wissenstand von dem in Konstruktion befindlichen oder reparierenden Gegenstand verfügen. Erst daraufhin kann der Arbeitsauftrag im Detail betrachtet werden, wobei präzisiert werden muss, was gemacht werden soll und wie es durchzuführen ist. Überaus anschaulich wird dies bei der Fehlersuche. Ob ein Rad  am Rahmen streift, hört jeder Laie, warum es streift und wie dies zu beheben ist, ist handwerkliche Erfahrung und mit hohem Wissensstand und Können verbunden.

 Obwohl in der handwerklichen Ausbildung streng zwischen Praxis und Theorie unterschieden wird, ist kaum Literatur zur fachgerechten Wissensvermittlung vorhanden und ob diese Trennung lernerfreundlich ist, ist durchaus nicht ausreichend wissenschaftlich bearbeitet worden. Folglich finden sich auch wenig Forschungsergebnisse etwa zur sinnvollen Reihenfolge des handwerklichen Lernens.  Jedem Ausbilder ist es weitestgehend selbst überlassen ob die Theorie vor, während oder nach der handwerklichen Ausführung vermittelt wird. Dies kann durchaus Unterschiede in der Wissensgenerierung ausmachen, verteilt unser Gehirn Erfahrenes doch in Kurz-, Mittel und Langzeitgedächtnis. Dabei speichert es bildliches und sprachliches nur gemeinsam, wenn der zeitliche Abstand zu beiden Gegenständen wenige Sekunden beträgt. Es ist denkbar, dass dies auch im taktilen Lernen von hoher Relevanz ist. Erklärt der MeisterIn dem Auszubildenden nun bereits eine halbe Stunde vor dem tatsächlichen Arbeitsbeginn die Abläufe, kann dies Möglicherweise von dem Auszubildenden nicht mehr kognitiv genutzt werden. Wie es bei dem tatsächlich handwerklichen Ablauf vonstatten zu gehen hat, um sinnvoll zu lernen ist kaum bearbeitet. Auf den ersten Blick konnten von mir drei Arten extrahiert werden wie praktisches Lernen ausgeführt werden kann. Alle drei Möglichkeiten habe ich selbst durchlaufen. Darüberhinausgehende Lernsysteme sind durchaus denkbar, bewegen sich die vorgelegten Beispiele doch nur in einem mehr oder weniger individuellen Rahmen.

In meiner eigenen Lehrzeit wurden Arbeitsabläufe, bevor ich sie alleine erledigen konnte, mehrmals gemeinsam durchgearbeitet, wobei die Mitarbeit sich anfangs auf Handlangerdienste beschränkte um sich dann immer weiter auszuweiten bis ich die Arbeit vollständig alleine durchführen konnte. Die Unterteilung war grundsätzlich in Vorbereitung, Hauptarbeit und Nacharbeit gestaffelt. Ein Umstand der mir in fast jedem Lebens- und Arbeitsbereich noch heute einen, aus meiner Sicht, perfekten Arbeitsablauf ermöglicht. Eine weitere Art des handwerklichen Lernens besteht darin, alleine und für sich zu lernen. Dies scheint die schwierigste, jedoch auch die Art zu sein, die einem die größtmögliche zukünftige Eigenständigkeit erlaubt, erstreckt sich der Arbeitsablauf doch weit über die eigentliche Maßnahme hinaus. Hierbei ist alles, von der Suche nach Fachbegriffen, den darauf folgenden Ersatzteilkauf und das besorgen der Werkzeuge miteingeschlossen. Jeder noch so minimale Arbeitsschritt ist Teil des Lernens und wird nicht vorgegeben. Der Nachteil daran ist, dass eine regelkonforme und effektive Arbeitsweise teilweise nicht gegeben ist und sich Fehler einschleifen können.

 B. nutzt eine abgemilderte Form dieser Variante, was unter anderem an dem Vorhandensein aller Werkzeuge und Ersatzteile liegt. Hierbei erfrage ich bestimmte Arbeitsschritte oder mir werden reparierbedürftige Teile vorgelegt die ich  versuche zu bearbeiten. Kleine Handgriffe und Tricks werden von Bernd, Helmut und Werner nebenher erklärt. Grundsätzlich habe ich die Arbeiten selbständig durchzuführen, werde zwischendrin jedoch so detailgenau angeleitet, dass die Einzelschritte nachvollziehbar, sozusagen in Reihe bei mir abgespeichert werden können. Wird die Arbeit von mir dennoch nicht adäquat durchgeführt, was durchaus vorkommt, wird mir diese in Teilschritten gezeigt. Meist ist es mir daraufhin möglich Reparaturen zu rekapitulieren und selbständig durchzuführen. Bei komplexeren Aufgaben muss ich mir dennoch manchmal auf die Sprünge helfen lassen, der Grundablauf bleibt jedoch gespeichert. Eine weitere Art der Arbeitsorganisation wird innerhalb meiner Familie genutzt. Komplexe, große Arbeiten werden hierarchisch sinnvoll geordnet durchgeführt. Der Erfahrenste hat die Arbeit zu koordinieren und bereits den ganzen Arbeitsplan im Kopf. Dieser wird den Mitarbeitenden vor Arbeitsbeginn kurz skizziert, ansonsten in verständlichen, kleineren Einheiten weitergegeben und entsprechend durchgeführt. Andere Zugänge und Ideen zu dem behebenden Problem werden zwischen Mittagstisch und Materialkauf besprochen und entweder integriert oder verworfen. Der Nachteil an dieser Form der Wissensvermittlung ist, dass ein eigener Zugang zu dem Problem wenig gegeben ist und persönliche Verhaltensweisen kaum gefördert werden. Auf der anderen Seite kann dadurch sowohl bei kleineren, nur in der Praxis erlernbaren Kniffen und Handgriffen, als auch im Aufbau der Arbeiten stark von den Erfahrungen des Lehrenden profitiert werden.

 In allen vorgestellten Varianten des handwerklichen Lernens zeigen sich nicht nur große Unterschiede, sondern auch, dass diese sich grundsätzlich vom theoretischen Lernen unterscheiden, da die Handhabung von Werkzeug und die Nutzung des eigenen Körpers, zum theoretischen Unterbau hinzukommen. Auf der anderen Seite besteht durchaus die Möglichkeit einer ähnlichen kognitiven Verankerung, die auch eine didaktische Betrachtung nötig macht und sich keineswegs von der  Wissensspeicherung theoretischen Wissens unterscheiden muss. So ist es fraglich, inwieweit Materialkunde und andere theoretische Grundlagen die weitestgehend im schulischen Unterricht vermittelt werden, der zeitlich und räumlich weit entfernt von der praktischen Arbeit verläuft, für den Lerner nutzbar sind. Möglicherweise kann es sich als sinnvoller erweisen die Theorie mit in die Werkstätten zu integrieren. Inwieweit es zweckmäßig ist, Lernenden Arbeitsschritte vorzugeben  oder diese sich Abläufe  besser eigenständig erarbeiten ist ebenso fraglich. In beiden Formen ist der Lehrende durchaus relevant und sein Umgang mit den Lernenden ist entsprechend zu evaluieren. Eine wissenschaftliche Betrachtung des theoretischen, als auch praktischen Lernens, sowie die dazugehörige Lehrtätigkeit zu unterscheiden und detailgenau zu definieren könnte  daher durchaus nützlich sein.